75 Jahre Caritasverband Offenbach – Streifzug durch die Jahrzehnte
Gründung und Aufbruch in der Nachkriegszeit
Gesagt – getan: vor 75 Jahren, am 1. Dezember 1945, wurde der der Caritasverband Offenbach/Main e. V. durch Bischof Dr. Albert Stohr gegründet. Das Wirkungsgebiet des Verbandes umfasst die Stadt und den Kreis Offenbach, die südmainischen Stadtteile Steinheim und Klein-Auheim der Stadt Hanau sowie den Kreis Groß-Gerau.
Aus dem kleinen Caritas-Büro, das noch bis 1949 im Pfarrsekretariat der Kirchengemeinde St. Paul im Zentrum Offenbachs untergebracht war, hat sich ein zukunftsorientierter katholischer Wohlfahrtsverband mit aktuell über 630 hauptamtlichen Mitarbeitenden entwickelt. Zusammen mit zahlreichen Ehrenamtlichen und Förderern engagieren wir uns für bedürftige Menschen – unabhängig von Konfession, Herkunft und Nationalität. Der Anspruch »Not sehen – und handeln« gilt bis heute.
Christliches Fundament und Wurzeln in der Gemeindecaritas
„Caritas meint das caritative Engagement als persönliches Zeugnis eines jeden Christen, als Aufgabe jeder katholischen Gemeinschaft und Pfarrgemeinde. Caritas ist gelebte Kirche.“
[aus: Profil der Caritas im Bistum Mainz]
Seine Wurzeln hat unser Verband in der caritativen Arbeit der katholischen Pfarrgemeinden. Daraus ist er hervorgegangen, darauf baute er strukturell auf und blieb den Pfarrgemeinden stets eng verbunden.
- So war es der Caritas möglich, in den Nachkriegsjahren rasch eine Nothilfe-Logistik zu organisieren, um Hilfsgüter aus dem Ausland, vor allem Nahrungsmittel, an Bedürftige zu verteilen.
- Bereits 1945 entstanden die ersten Allgemeinen Lebensberatungsstellen (ALB) der Caritas in Offenbach und Seligenstadt, später an weiteren Standorten. Ausgehend von diesem Beratungsgrunddienst entwickelte der Verband zahlreiche Fachberatungsangebote für Menschen, die in speziellen Lebensphasen oder -situationen Rat und Unterstützung suchen: etwa bei Fragen zu Schwangerschaft, Erziehung, Partnerschaft oder Ehe, bei Sucht- oder psychischer Erkrankung, bei Arbeitslosigkeit und finanziellen Sorgen oder im Alter und bei Krankheit.
- Eine Erholungsfürsorge für Offenbacher Kinder, die »Stadtranderholung im Grünen«, konnte ab 1946 wieder angeboten und über Jahrzehnte hinweg veranstaltet werden. Generationen von Offenbacher Kindern erinnern sich gerne an die beliebten Ferienspiele auf dem Gelände des heutigen Caritaszentrums.
- Im Jahr 1949 nahm das Alten- und Pflegeheim St. Elisabeth – damals in der Offenbacher Innenstadt – seine Arbeit auf. 1995 erfolgte der Umzug in einen für seine Architektur preisgekrönten Neubau ins Caritaszentrum am Stadtwald. Dort betreibt der Verband seit 1976 ein zweites Pflegeheim: St. Ludwig.
Caritas-Aufgaben spiegeln die Gesellschaft im Wandel der Zeit
Seit einem Dreivierteljahrhundert begleiten wir gesellschaftliche Entwicklungen im Rhein-Main-Gebiet. Unsere Dienste und Angebote sind immer auch Antworten auf soziale Herausforderungen der jeweiligen Jahrzehnte. Sie sind ein Spiegel der sich wandelnden Gesellschaft. Einige Beispiele aus unserer Chronik, ein Streifzug durch die Jahrzehnte, sollen dies exemplarisch zeigen:
- Als ab Mitte der 1950er Jahre in großer Zahl angeworbene, ausländische Arbeitskräfte mit nur geringen Deutschkenntnissen in damalige Industriestädte strömten, nahm die Caritas als Gesamtverband eine Vorreiter-Rolle ein. Als erster Wohlfahrtsverband initiierte sie für die sogenannten Gastarbeiter aus eigenen Mitteln eine muttersprachliche Beratung zur Alltagsbewältigung. Auch der Caritasverband Offenbach richtete ab 1962 Ausländer-Sozialbetreuungsstellen in Rüsselsheim und in Offenbach ein, später auch andernorts. Der Staat schrieb erstmals 1984 die Aufgaben der Ausländersozialarbeit fest. Heute bündelt der Caritas-Migrationsdienst vielfältige Angebote rund um die Themen Ankommen und Integration. Dazu gehört auch die Geflüchtetenhilfe, wo unser Verband seit der großen Flüchtlingswelle 2015 begleitend und beratend aktiv ist.
- Als die Drogenproblematik zunahm und seit den 1970er Jahren das Suchthilfesystem in Deutschland ausgebaut wurde, richtete der Caritasverband Offenbach 1971 seine erste Psychosoziale Beratungs- und Behandlungsstelle für Suchtkranke in Stadt und Kreis Offenbach ein. Von Anfang an kooperierte er eng mit den Kreuzbund-Selbsthilfegruppen. Heute bieten wir bei Suchtproblemen Beratung und Hilfen in Offenbach und im Kreis Groß-Gerau an. Im Kreis Offenbach helfen im Beratungszentrum Ost in Rodgau die Ansprechpartner vom Suchthilfezentrum Wildhof e. V. weiter, mit denen wir Tür an Tür arbeiten.
- In die 1970er Jahre fiel auch die Gründung der ersten Caritas-Sozialstationen, die seither mobile, ambulante Pflegedienste für die häusliche Umgebung anbieten. In moderner Form führen sie die Tradition der Gemeindekrankenpflege fort, die einst in der Hand von Ordensschwestern lag. Ab 1985 unterstützen zusätzlich Familienpflegehelferinnenkreise bei der hauswirtschaftlichen Versorgung von Pflegebedürftigen. Caritas-Sozialstationen gibt es aktuell an vier Standorten im Verbandsgebiet: Sozialstation Heusenstamm/Dietzenbach, Sozialstation Obertshausen/Mühlheim, Sozialstation Rödermark und Sozialstation Seligenstadt.
- Im Jahr 1994 ging die Seniorenberatung für die Gemeinden Hainburg, Mainhausen und Seligenstadt an den Start. Das geschah in Kooperation mit den Kommunen mit Blick auf die Einführung der neuen Pflegeversicherung 1995 – eine Antwort auf die alternde Gesellschaft, in der die Zahl erwerbstätiger junger Menschen, die Beiträge in das Sozialversicherungssystem einzahlen, stetig schrumpft. In Hainburg und Mainhausen verantwortet der Verband immer noch dieses Beratungsangebot.
- Heute möchte die Mehrheit der Seniorinnen und Senioren möglichst lange selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben. Deshalb hat der Caritasverband Offenbach innovative betreute Wohnformen nach dem Konzept »Wohnen mit Service« realisiert: Die Senioren-Wohnanlage Franziskushaus in Rödermark (Erstbezug im Winter 2014/2015) und ein aktuelles Bauprojekt in Mainhausen stehen für diesen Trend.
- Als die Arbeitslosenzahlen Mitte der 2000er Jahre immer weiter in die Höhe kletterten, entwickelte der Caritasverband in Kooperation mit dem Offenbacher Jobcenter Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose. Das Sozialkaufhaus »Luise34« öffnete 2007 in Offenbach seine Türen. Für das neue Tätigkeitsfeld wurde 2007 die CariJob gemeinnützige GmbH gegründet, eine 100-prozentige Tochter des Caritasverbands Offenbach.
- Seit der Ausweitung der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU im Jahr 2014 ist der Zuzug von Südosteuropäern in Offenbach stark angestiegen. Viele von ihnen geraten in prekäre Arbeitsverhältnisse und sind somit nicht krankenversichert. Aus diesem und anderen Gründen ist die Caritasarbeit seit Mitte der 2010er Jahre stark geprägt von aufsuchender Sozialarbeit und von niedrigschwelligen Beratungsangeboten.
- Aktuell gewinnt der Aspekt der Sozialraumorientierung in allen Bereichen an Bedeutung. Die Caritas-Mitarbeitenden sind unterwegs zu den Menschen: zu Fuß, per Café-Bike (in Kelsterbach), Spielmobil oder Straßenambulanzbus (in Offenbach). Es gibt Beratungsangebote in Kitas und Schulen, in einem Krankenhaus und in Firmen. In Stadtteilbüros in Offenbach und Ginsheim-Gustavsburg oder über Seniorenlotsen-Projekte, etwa in Rödermark, fördert die Caritas vernetzte Nachbarschaftshilfe.
Alle unsere Angebote im Caritasverband Offenbach verstehen wir als »Kirchorte«, weil wir dort Kirche für unsere Mitmenschen sichtbar und erfahrbar machen.
[Text: Sabine Schilha, 18.11.2020]